Es war ein Fest der Sprachen – das Erasmusplustreffen in Bozen. Nicht nur, dass die Schüler*innen aus Amsterdam, Kronstadt (Braşov), München und Thessaloniki gemeinsam mit den Schülern des Klassischen Gymnasiums „Walther von der Vogelweide“ eine dreisprachige Realität mit Deutsch, Italienisch und Ladinisch erleben durften, sondern auch in der Gruppe selbst wurden immer wieder die verschiedensten Sprachen gesprochen – natürlich war Englisch die lingua Franca, aber in den kleinen Begegnungen wurden immer wieder auch andere gemeinsame Sprachen genutzt – und manchmal sogar Latein aktiv gesprochen. Aus der Sicht der Lehrkraft wurden die Ziele des Projekts mehr als nur punktgenau getroffen. Das große Projektthema Minderheiten konzentrierte sich in Südtirol natürlich auf ethnische Minderheiten. Wie gelingt es in 5 Tagen die vielen verschiedenen Realitäten in Südtirol, die Autonomiefrage, die Minderheitensituation, historische Entwicklungen und aktuelle Situation, das Verhältnis zwischen Gemeinden, Provinz, Region und Staat erlebbar werden zu lassen? Wir haben es versucht: mit einer Willkommensrunde am Gymnasium „Walther von der Vogelweide“, einer ersten Orientierung in der Stadt über Interviews, welche die Schüler*innen in kleinen Gruppen mit Passanten führen mussten, einer weiteren Einstimmung mit Beethovens Neunter (und der Ode an die Freude), die vom Gymnasium „Walther von der Vogelweide“ gemeinsam mit den Chören des Gymnasiums Giovanni Pascoli und dem Orchester des Bozner Konservatoriums im Konzerthaus Haydn aufgeführt wurde. Am Samstag ging es weiter am Center for Autonomy Experience der Europäischen Akademie, wo uns Junior Researcher Jakob Volgger und Senior Researcher Georg Grote in die Geschichte der Südtirolautonomie und aktuelle Fragen der Südtirolautonomie einführten. Ein Spaziergang am Nachmittag mit Georg Grote zeigte Besonderheiten der Südtirolgeschichte im Bozner Stadtbild auf. Die abschließenden Fragen und Überlegungen der Schüler*innen am Gerichtsplatz zeigten auf, wie interessiert die Gruppe war, aber auch, wie gut reflektiert sie das Ganze angingen. Die Begegnungen mit Südtiroler Politikern, mit Martha Stocker (SVP), mit Brigitte Foppa (Grüne) und mit Luca Di Biasio (Sinistra – die Linke) in der Aula Magna des Gymnasiums „Walther von der Vogelweide“ am Sonntagvormittag wurden von allen Teilnehmern als ganz besonders spannend bewertet. In Kleingruppen wurde wechselweise mit den einzelnen politischen Vertretern diskutiert und es wurden ganz unterschiedliche Fragen aufgeworfen. Der Nachmittag war einer ganz besonderen Stadtführung im Europaviertel gewidmet – auch ganz bewusst geplant, um Bozen nicht immer nur aus der Sicht zweier Stadtviertel allein zu erleben. Die Museumsgruppe „Bolzanism“ plant etwas andere Stadtführungen, mit szenischen Elementen, um die Geschichte des Europa- und des Don-Bosco-Viertels erlebbar werden zu lassen. Am Montag fuhr die Gruppe dann nach St. Ulrich, um die Minderheit in der Minderheit, die ladinische Sprachgruppe etwa näher kennen zu lernen. In schulübergreifender Zusammenarbeit mit dem Kunstgymnasium Cademia und der WFO in St. Ulrich erklärten die ladinischen Schüler der Erasmusplusgruppe ihre Realität und nahmen sich sehr viel Zeit für uns und für viele persönliche Gespräche, auch bei einer kleinen Bergtour am frühen Nachmittag. Nicht nur für die ausländischen Schüler*innen, auch für die Bozner Schüler*innen waren die Tage extrem spannend, wie sie meinten, weil auch ihnen manche Aspekte unserer Autonomie und unserer Realitäten nicht so bewusst waren. Das Treffen klang nach vielen gemeinsam verbrachten Stunden (auch in der vom Programm vorgesehenen Freizeit) mit einem Schreibworkshop zum Thema aus: Die Schüler*innen sollten einen Schwerpunkt des Treffens, der sie besonders berührt hat, in einen Text bringen. Die dabei entstandenen Reflexionen (in englischer und deutscher Sprache, mit einzelnen Texten auch in Italienisch und Ladinisch) sollen in einer kleinen Broschüre zusammengefasst werden und beim nächsten Treffen der Gruppe, wahrscheinlich in München, an alle verteilt werden. Besonders spannend dürfte für Bozen dann die Begegnung in Siebenbürgen werden, wo die Minderheitensituation ganz, ganz anders geregelt ist. Wir freuen uns schon sehr auf die nächsten Treffen, den Schüler*innen ist der gegenseitige Abschied in Bozen nicht leicht gefallen!
06.06.2022