Schulische Erasmusprogramme sollen SchülerInnen und LehrerInnen quer über Europa einander nahe bringen, und das vor allem auch vor dem Hintergrund der Realitäten und Besonderheiten der jeweiligen Länder und Standorte. Dass dieses interkulturelle Lernen mitunter auch problembehaftet sein kann, erfuhren zwei Teams des für den 16. – 20. 3. anberaumten 5. und letzten Meetings im Rahmen des Projektes „(V)erkannte Vielfalt: Minderheiten in Europa“ in Thessaloniki. In der Nacht auf den 1. 3. waren auf der Bahnstrecke Athen – Thessaloniki ein Personenzug und ein Güterzug aufeinander geprallt, ein Unglück, das mehr als 40 Todesopfer und ca. 80 Verletzte forderte. Griechenland war schockiert und schob einen Großteil der Schuld auf Verschleppungsmaßnahmen der Staatsregierung, was den Münchner SchülerInnen, die Anfang März zum Schüleraustausch auf Kreta waren, schon Eindrücke wie Demonstrationen vor dem Rathaus in Iraklio und einen eintägigen Schulstreik beschert hatte. War dies noch verstehbar und kein Hindernis, so schadete ein spontaner Verkehrsstreik für den 16. 3. doch allen internationalen Reisegästen erheblich. Der Flughafen Thessaloniki wurde an diesem Tag nicht angeflogen, und daher sahen sich das Bozener und das Amsterdamer Team mit der völlig unerwarteten Absage ihrer Flüge konfrontiert. Das rumänische Team und das deutsche Team reisten am 15. 3. an und konnten noch problemlos landen, wenngleich die Münchner erst nach Mitternacht in ihrem Hostel ankamen. Aber: Sie waren angekommen!
Das Gastgeberteam in Thessaloniki fing alle Schwierigkeiten sehr flexibel auf. Ein Besuch im fußläufig erreichbaren Archäologischen Museum mit mehreren Abteilungen vom prähistorischen Makedonien bis hinein in die Spätantike wurde vorgezogen und faszinierte v. a. durch die wertvollen, oft sehr filigranen Goldfunde aus der Region.
Mit Taxis erreichten die Teams dann die 2nd Model Junior High School, an welcher der Nachmittag ganz im Rahmen des gegenseitigen Zusammentreffens, Präsentierens (v. a. für die SchülerInnen, die sich noch nicht kannten) und des thematischen Arbeitens stand, das Mrs Constantinidou organisiert hatte. In Arbeitsgruppen recherchierten international gemischte SchülerInnen – Teams verschiedene Fragestellungen, die sich im Anhang finden. Die engagierte und muntere Arbeit endete in einem ebenso lebhaften Welcome Dinner am Abend.
War am 16. 3. leider schon klar, dass das Team aus Bozen keine andere Möglichkeit eines Fluges bekommen würden, so fiel Frau Karagiauri eine kluge Alternative für das Amsterdamer Team ein: Sofia anzufliegen! Trotzdem konnten die Niederländer leider erst am späten Freitagnachmittag in Thessaloniki sein, so dass sie den Tag, an dem schwerpunktmäßig Projektarbeit gemacht wurde, nicht mit erlebten. In zwei hochinteressanten und beeindruckenden Vorträgen erfuhren die Erasmus–SchülerInnen zunächst von Frau Venetia Apostolidou von der Universität Thessaloniki über ein jahrelanges Pilotprojekt zur Ausbildung von Kindern der muslimischen Minderheit in Thrakien, zu dessen Team sie gehörte. Der nächste Vortragende beeindruckte besonders menschlich: Vater Athenagoras, ein Priester, der in Dendropotamos wirkt, dem Viertel Thessalonikis, in dem die meisten Sinti und Roma leben. Möglichst viele ihrer Kinder aus ihren armen Verhältnissen herauszuholen und ihnen besonders eine gute Ausbildung zu ermöglichen, um ihnen den Weg in eine bessere Zukunft zu schaffen, sieht er als seine Lebensaufgabe. War mit dem Thema „Sinti und Roma“ schon ein Anknüpfungspunkt an die beiden Vorgänger–Meetings geschaffen, so traf dies auch auf den nächsten Programmpunkt zu, den Besuch des Jüdischen Museums von Thessaloniki. In einer Führung erfuhr man, dass die jüdischen Bürger – häufig Nachfahren der Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien vertriebenen Juden - bis zur Eroberung Thessalonikis durch die Griechen 1912 fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachten. 1917 zerstörte ein Flächenbrand ca. 30 Prozent der Stadt, darunter auch viele jüdische Einrichtungen und Wohnhäuser, weswegen es zu einer Emigrationswelle aus Thessaloniki kam, die auch zu einer erheblichen Reduzierung der jüdischen Bevölkerung führte. Durch die Aufnahme vieler griechischer Flüchtlinge aus Kleinasien wurden die Juden in Thessaloniki endgültig zu einer eher unbeliebten Minderheit. 1943 wurden die noch verbleibenden ca. 50.000 Juden mit wenigen Ausnahmen nach Auschwitz und Bergen–Belsen deportiert. Daran und an eine öffentliche Demütigung auf dem Freiheitsplatz erinnert bis heute ein Gedächtnismarsch vom Eleftherias Square zum alten Bahnhof von Thessaloniki Ende März, der in die Zeit des Meetings fiel und an dem sich die Erasmus–Gruppe am Sonntag beteiligte. Am Freitag stand weiter der Besuch des griechischen zypriotischen Zentrums (Cypriot Association of Northern Greece) in Thessaloniki an. Die SchülerInnen erfuhren nicht nur Einiges über die Landeskunde und neueste Geschichte des geteilten Zypern, sondern erlebten einen Besuch des zypriotischen Generalkonsuls in Thessaloniki, der sich lebhaft für die Gruppe, schulische Erasmus–Programme und das derzeitige Projektthema interessierte.
Der Samstag war dem Erkunden des antiken Makedoniens reserviert. Mit einer ausnehmend kenntnisreichen Führerin besuchte die Gruppe das Archäologische Museum in Pella und die Königsgräber von Vergina mit einer Dauerausstellung der dortigen Funde und es kamen besonders die SchülerInnen beeindruckt zurück, die im Unterricht über Latein bzw. Griechisch intensiver mit Alexander dem Großen in Berührung gekommen waren.
Natürlich durfte beim Besuchsprogramm auch das Zentrum von Thessaloniki nicht fehlen, das wir zum Teil gemeinsam (Weißer Turm), in Klein-, oder auch nationalen Gruppen (wie den Galeriusbogen und die Rotunde) besichtigten. Das Meer mit dem beschneiten Olymp in der Ferne hätten sicher alle gerne als ihre tägliche Kulisse …Die Hafenrundfahrt an Bord der „Argo“ war natürlich ein besonderes Erlebnis. Nicht vergessen seien die gemeinsamen Essen in verschiedenen Tavernen, bei denen wahrlich keiner halb–hungrig vom Tisch aufstehen musste … Besonders malerisch war der Ort des samstäglichen Abendessens auf der Burg von Thessaloniki. Am Abschiedsabend hatten alle ihren Spaß an einem griechischen Tanzworkshop. Rasch waren also die Tage bei immer besser werdendem Wetter vorbei; am Montagvormittag wurden die Ergebnisse der Arbeiten vom Donnerstag präsentiert, und dann hieß es schon wieder Abschied zu nehmen, nachdem alle SchülerInnen einen Luftballon in den Himmel hatten steigen lassen. Dass es auch manche Tränen gab, spricht dafür, wie gut sich die Jugendlichen untereinander verstanden. Abschied zu nehmen galt es neben den KollegInnen (zehn gehören in Thessaloniki zum Erasmus-Team!) vor allem von Frau Fotini Karagiauri, der „Mutter“ der Erasmus–Projekte an der 2nd Highschool, die nach diesem Jahr in Pension geht und der unser besonderer Dank für die Zusammenarbeit in zwei Projekten und besonders ihr unermüdliches Engagement für die Dokumentation auf ETwinning gilt.